Anti-AKW-Bewegung I: Der Beginn einer Bewegung

Bis in die 1950er Jahre herrschte in Deutschland wie in vielen Industrieländern eine regelrechte Atom-Euphorie. Mangel an Brennstoff, das rasante Wirtschaftswachstum und unerschütterlicher Fortschrittsglaube ließen die Atomenergie als Energiequelle der Zukunft gelten. Zwar hatten die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki die verheerenden Folgen von radioaktiver Strahlung verdeutlicht – besonders viel darüber war aber nicht bekannt. In den 1950er Jahren wurde sogar die Bewaffnung der gerade – oft von ehemals hochrangigen Wehrmachtsoffizieren – gegründeten Bundeswehr mit Atomwaffen diskutiert. Dagegen formierte sich die „Kampf dem Atomtod“-Kampagne, eine der ersten sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik. Diese antimilitaristische Widerstandsbewegung wurde anfänglich von SPD, DGB und Kirchen getragen, Ende der 1950er Jahre setzten sich hier jedoch auch radikale Kritiker*innen durch. Hier politisierten sich viele, die später die Studierendenbewegung der 68er prägen sollten, etwa Ulrike Meinhof.

In den 1950er und 1960er Jahren kam es gegenüber Atomkraftwerken dagegen nur zu wenigen und oft lokal begrenzten Protesten. Das änderte sich Anfang der 1970er: Bürger*inneninitiativen, oft zunächst von Kirchen und konservativen Parteien getragen, sammelten Zehntausende Unterschriften gegen einzelne Kraftwerksplanungen. Entsprechend richtete sich der Protest oft nicht grundsätzlich gegen Atomenergie, sondern beispielsweise gegen Verschattung durch Kühltürme; Wein- und Milchbauern fürchteten um ihr Image, Verschattung und verändertes Klima. Insbesondere nach der ersten Ölkrise 1973/74, als unter dem Dogma der Energiesicherheit deutlich schneller Atomkraftwerke geplant werden sollten, formierte sich der Widerstand – und vernetzte sich zusehends.

Ab 1973 intervenierten mehr und mehr auch linke politische Gruppen in die Auseinandersetzungen. Auch der Kommunistische Bund Westdeutschlands intervenierte frühzeitig in die aufkommende Anti-AKW-Bewegung. Am 1. April 1974 wurde der Bauplatz des künftigen Atomkraftwerks Kaiseraugst bei Basel von hunderten Anti-AKW-Aktivist*innen besetzt, ab November geben sie eine regelmäßige Zeitschrift heraus.

1975 eskaliert die Situation: im badischen Whyl soll ein Atomkraftwerk errichtet werden, am 18. Februar wird auch hier der Bauplatz besetzt. Am 23. Februar kann die Polizei ihre Stellungen nicht halten und muss abrücken. Die „Volkshochschule Whyler Wald“ gründet sich und organisiert Vorträge, Konzerte und vieles mehr. Am 3. Mai entsteht im elsässichen Fessenheim erheblicher Sachschaden durch einen Sprengstoffanschlag auf ein im Bau befindliches Atomkraftwerk. In Whyl war der Bau eines Atomkraftwerks inzwischen als politisch nicht mehr durchsetzbar erkannt worden – ein erster Erfolg für die junge Anti-AKW-Bewegung.

Im nächsten Teil: Der Kampf um das AKW Brokdorf

Weiterführende Informationen

Video zu den Auseinandersetzungen um das AKW Whyl

Chronik zu den Auseinandersetzungen in Whyl vom BUND-Regionalverband Südlicher Oberrhein

Interventionen kommunistischer Gruppen (v.a. KBW) in die Auseinandersetzungen in Whyl

Martin Kaul: »Die Wunden von Whyl«, taz, 18. September 2010