Die grüne Farbe der Gelbwesten

Scheinbar aus dem nichts tauchten Ende des Jahres 2018 überall Versammlungen und Besetzungen auf Verkehrskreiseln in ganz Frankreich auf. An den Wochenenden gingen Bilder um die Welt, wie im Herzen Paris und in anderen Metropolen tausende Menschen ihre Wut durch massive Straßenkämpfe mit der Polizei und Sachbeschädigungen zum Ausdruck brachten. Was jedoch überall zu sehen war: die gelbe Westen – die Bewegung der Gilets Jaunes war geboren, aus der bald eine Revolte wurde.

Was sind nun aber diese Bewegung der Gilets Jaunes und was treibt sie an? Am 17. November folgten tausende im ganzen Land einem Aufruf, welcher über die sozialen Medien verbreitet worden war, und gingen gegen eine neue Kraftstoffsteuer auf die Straße. Diese Erhöhung der Steuer für Kraftstoffe wird auf Kosten vor allem des Prekariats ausgetragen. Es scheint also nicht verwunderlich, dass diese Erhöhung der Benzinpreise nur der Anstoß war, dass aus dieser Bewegung sehr schnell soziale Ungerechtigkeit als Ganzes angeprangert wurde, und neoliberale Politik zum Feind wurde. »Macron démission – Macron zurücktreten« wurde die überall geteilte Parole. Macron als Symbolfigur für die neoliberale Politik wurde zum Feindbild Nr. 1 erklärt. Die Konfrontation an denn wöchentlichen wilden Demonstrationen in den Großstäten – die keine Regeln der etablierten Demonstrationskultur folgten – eskalierte zu einer Revolte, bei der Menschen von Jung bis Alt randalierten und es nicht mehr um Forderungen ging, sondern um die Negation des Systems. Die Bewegung entsprang nicht aus der Linken, sondern aus einem spontanen Moment, der auch überraschend für die sozialen Bewegungen in Frankreich kam und sich erst zögerlich dazu verhielten. Auch Rechte versuchen zu Beginn, Teil der Bewegung zu werden, ihnen wurde jedoch mit Argumenten der Faust klar gemacht, dass sie dort nichts zu suchen haben. Diese Revolte hielt über Monate an und ist noch nicht zur Ruhe gekommen. Während die Symbole der Macht und des Überflusses – wie die Champs-Élysées – klein geschlagen wurden, wurden durch staatliche Repression tausende Menschen oft schwer verletzt, einige sogar getötet und hunderte gingen durch die französischen Gefängnisse.

Was hat diese Revolte mit einer ökologischen Bewegung zu tun? Es scheint ein Widerspruch zu sein, dass ein Widerstand gegen Steuern auf Benzin auch ökologische Themen an Einfluss gewinnen könnten. Bei Betrachtung des Ausgangspunkts der Bewegung ist dies jedoch gar nicht mehr so abwegig: Die Frage danach, wie wir uns fortbewegen, ist auch eine Kernfrage ökologischer Bewegungen. Was die Gilets Jaunes geschafft haben ist, die soziale und ökologische Frage zu verbinden. Bei der Frage nach Fortbewegung wird klar, dass es sich hier nicht nur um eine ökologische, sondern eben auch um eine Klassenfrage handelt. Die Erhöhung von Benzinpreisen betrifft vor allem prekäre Menschen, welche– angesichts schlecht ausgebauten Nahverkehrs – kaum Möglichkeiten haben, sich fortzubewegen um ihrer schlecht bezahlte Arbeit nachzugehen. Auf der anderen Seite: ist der Fern- und Nahverkehr überhaupt erschwinglich oder erreichbar für einen Großteil der Menschen? Eine Aktionsform war es, die Mautstellen zu öffnen und über Wochen konnten alle, ohne zu Maut zu bezahlen, von Spanien nach Deutschland fahren, während auf den lokalen basisdemokratischen Treffen über kostenlosen und ausgebauten Nahverkehr diskutiert wurde. 

Doch nicht nur die Themen und Forderungen schließen sich an eine ökologische Bewegung an; auch in der praktischen Auseinandersetzung beteiligten sich Gelbwesten an Klimademos, auch gab es an einigen Aktionstagen der Gelbwesten Klimademos, es gab gemeinsame Aktionen mit Klimaaktivist*innen wie Besetzungen, und gemeinsame Demos mit der Klimagerechtigkeitsbewegung. Der ökologische Standpunkt wurde bei den Versammlungen gemeinsam diskutiert und auf der Straße gemeinsam mit Aktivist*innen dafür gekämpft. 

Festzuhalten bleibt: die Frage nach Fortbewegung und Transport ist weiter ein wichtiger Punkt ökologischer Debatten und untrennbar mit sozialen Fragen verknüpft. Als radikale Linke und Antikapitalist*innen dürfen wir nicht die ökologische Frage gegen die soziale Frage ausspielen, da eine Antwort auf die ökologischen Krisen nur antikapitalistisch möglich ist.

Artikel zum Weiterlesen:

Tina Habermalz, Timo Brym: »Gilets Jaunes – Zwischen Widerspruch und Hoffnung«, re:volt magazine, 28. Juni 2019

Janna Aljets: »Die Gilets Jaunes in Frankreich – Der Aufstand der Autofahrer*innen?«, Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel, 26. November 2018

Sebastian Lotzer: »Ein Jahr Gilets Jaunes – Ein Jahr Aufruhr. Ein Dossier«, non, 15. November 2019

 

Videos:

Medienkollektiv Frankfurt: »Revolte in Frankreich – Die Proteste der Gilets Jaunes (Gelbwesten)«, 11 min, 27. September 2019

Taranis News: »#GILETSJAUNES: ACTE 18, Paris 16/3/2019«, 64 min, 17. März 2019

CLPRESS: »Marche Climat: Gilets Jaunes, Black Blocs et Incidents (21 Septembre 2019, Paris«, 26 min, 22. September 2019

 

Buchempfehlungen:

Luisa Michael: Wir sollten uns vertrauen. Der Aufstand in gelben Westen, Nautilus Flugschrift, Oktober 2019.

Willi Hajek (Hg.): »Gelb ist das neue Rot«. Gewerkschaften und Gelbwesten in Frankreich, Die Buchmacherei, Februar 2020.

Peter Wahl (Hg.): Gilets Jaunes. Anatomie einer ungewöhnlichen sozialen Bewegung, PapyRossa, September 2019.