Anti-AKW-Bewegung III: Der WAAhnsinn von Wackersdorf

In den 1980er Jahren begann sich die öffentliche Meinung gegenüber der Atomtechnik grundsätzlich zu wandeln. Grund dafür war nicht nur die konsistente Aufklärungsarbeit von Anti-AKW-Initiativen, sondern auch durch Unfälle in Atomkraftwerken, die weltweit für Schlagzeilen und Zweifel an der Sicherheit der AKWs sorgten: am 28. März 1979 ereignete sich ein Reaktorunfall im Atomkraftwerk Three Mile Island in Harrisburg (USA). Zwar war Atomenergie auch davor nicht störungsfrei, nun wurden Unfälle und die Gefahren der Radioaktivität aber in der breiten Öffentlichkeit diskutiert.

Das Reaktorunglück in Tschernobyl am 26. April 1986 sorgte dafür, dass die Anti-AKW-Bewegung weiter wuchs. Erstmals wurden die Auswirkungen radioaktiver Kontamination auch in Deutschland spürbar, als Empfehlungen herausgegeben wurden, nach der Katastrophe von Tschernobyl Feldfrüchte unterzupflügen, Spielplätze zu schließen und Lebensmittel auf ihre radioaktive Belastung zu prüfen. Große Teile der Öffentlichkeit waren nun gegen die Nutzung der Atomenergie. Dieser Wandel der öffentlichen Meinung führte jedoch nicht zu einem politischen Umdenken: unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) wurden bis 1989 noch sechs weitere Atomkraftwerke in Betrieb genommen.

Zur selben Zeit wurde auch eine Wiederaufbereitungsanlage (WAA) für ausgebrannte atomare Brennstäbe geplant. Sie sollte im oberpfälzischen Wackersdorf entstehen. Mit einer Wiederaufbereitungsanlage ist es möglich, aus Teilen von ausgebrannten Brennstäben erneut spaltbares Uran und Plutonium zu erzeugen. Der Streit um Endlagerung und Wiederaufbereitung der radioaktiven Materialien eskalierte Ende der 1970er Jahre und war ein Auslöser für die Gründung grüner und alternativer Listen, von denen sich schließlich viele zur Grünen Partei zusammenschlossen.

Im Februar 1985 wurde Wackersdorf als Standort für die Wiederaufbereitungsanlage beschlossen; von Anfang an regte sich energischer Protest. Noch im selben Monat protestierten 35.000 Menschen im nahegelegenen Schwandorf gegen die Pläne. Für den Bau war die Rodung eines Waldes nötig; kurz nach dem Rodungsbeschluss wurde dieser von 1.000 Aktivist*innen besetzt und am 14. Dezember 1985 das Hüttendorf »Freie Oberpfalz« ausgerufen. Die Besetzung wurde 2 Tage später durch 3.700 Polizist*innen geräumt, schon am 21. Dezember erfolgte jedoch die nächste Besetzung als »Freie Republik Wackerland«. Nach den Räumungen reagierte die Polizei mit massiver Repression: von 1985 bis 1989 gehörten in dem sonst so beschaulichen ländlichen Landstrich Demonstrationsverbote, Hausdurchsuchungen, Umstellen von Dörfern, Verhaftungen sowie der Einsatz großer Polizeiverbände aus dem gesamten Bundesgebiet zum Alltag.

Am 31. März 1986 demonstrierten erstmals mehr als 100.000 Menschen in Wackersdorf. Nach einem Einsatz von CS-Gas gegen die Demonstration durch die Polizei starb der 38-Jährige Alois Sonnleitner an einem Asthmaanfall. Bereits Anfang März war die 61-Jährige Erna Sielka am Bauzaun von Wackersdorf im Zuge der Proteste an einem Herzinfarkt gestorben.

Im Mai 1986, kurz nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, eskalierte die Situation in der Wackersdorfer »Pfingstschlacht«. Hubschrauber warfen CS-Gas-Kartuschen in die demonstrierende Menge, daraufhin wurden zwei Polizeiwagen angezündet. Die Auseinandersetzungen gingen in den nächsten Wochen weiter, wobei die Polizei nun auch Blendgranaten und Gummigeschosse einsetzte. Das bayerische Polizeigesetz wurde eigens so geändert, dass Demonstrierende für 14 Tage in Gewahrsam genommen werden können.

Im Juli 1986 fanden sich 100.000 Menschen zum »Anti-WAAhnsinns-Festival« im nahgelegenen Burglengenfeld ein. Es wurde danach auch als »deutsches Woodstock« bezeichnet.

Am 10. Oktober 1987 gingen Polizist*innen mit noch nie dagewesener Brutalität auf die Demonstrierenden los. Hetzjagden der Polizei gegen Protestierende, massive Prügelorgien und andere Gewaltexzesse sorgten dafür, dass die Stimmung gegenüber der Staatsmacht mehr und mehr kippte.

Immer mehr Organisationen forderten: »Stoppt den WAAhnsinn!« – schließlich mit Erfolg: vor Gericht konnten zwar nur Teilerfolge durchgesetzt werden, doch den Betreibergesellschaften wurden die Auseinandersetzungen zu teuer und aufwendig. Sie setzten stattdessen auf Wiederaufbereitung in Frankreich. Der Bau, der bis dahin 10 Milliarden D-Mark gekostet hatte, wurde eingestellt. Über 2000 Aktivist*innen mussten Geldstrafen zahlen, einige kamen auch in Haft. Von 400 Strafanzeigen gegen Polizist*innen endete keine einzige auch nur mit einer Anklage.

Die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf wurde vor allem auch durch den konsequenten Protest von Anti-AKW-Aktivist*innen gemeinsam mit regionalen Akteur*innen verhindert und zeigt damit, wie Kämpfe auf dem Land vereint geführt und letztlich gewonnen werden können.

In der nächsten Folge: Gorleben und die Freie Republik Wendland…

Weiterführende Links

Helge Holler: »Wackersdorf. Erinnerungen an den Ausnahmezustand«, Greenpeace, 15. Mai 2009

Manfred Kriener: »Triumph der Atomgegner«, taz, 14. Januar 2016

»Atomstreit in Wackersdorf«, Video, 44 min